Cash is King

Illustration: Tolga Akdogan
Julia Thiem Redaktion

Deutschland ist mal wieder Spitzenreiter in Europa – und zwar mit Blick auf die durch die Europäische Kommission genehmigten Coronahilfen. 45 Prozent der insgesamt 2,19 Billionen Euro verteilt alleine der deutsche Staat mittlerweile an Unternehmen. Das verzerrt zum einen den europäischen Wettbewerb. Denn ein Land wie Spanien – von der Corona-Krise deutlich stärker getroffen – verfügt schlicht und ergreifend nicht über die finanziellen Mittel, die Wirtschaft in gleicher Weise zu stützen. Nur 4,2 Prozent der gesamten Hilfen in der EU gehen an spanische Unternehmen.


Zum anderen werden die großzügigen Wirtschaftshilfen der Bundesregierung nicht nur positiv bewertet. „Überall dort, wo Medikamente in riesigen und plötzlichen Dosen verabreicht werden, besteht die Gefahr unangenehmer Nebenwirkungen“, schreibt beispielweise Bloomberg-Meinungskolumnist Andreas Kluth in einem aktuellen Beitrag. Er fürchtet, dass Regierungen die Größe eines Unternehmens mit seiner wirtschaftlichen Stärke verwechseln und tendenziell schlechter als private Investoren darin sind, Gewinner ausfindig zu machen. Vor allem aber kritisiert Kluth den zunehmenden Staatskapitalismus in Europa, allen voran in Deutschland. Werde aus der Wirtschaft ein Lobbying-Wettbewerb für Unternehmen, treffe das vor allem Steuerzahler und Konsumenten.


Und tatsächlich versucht die Regierung über Staatshilfen ihre wirtschaftliche Einflussnahme auszuweiten. Prominentestes Beispiel ist derzeit sicherlich der stark angeschlagene Dax-Absteiger Lufthansa, der neun Milliarden Euro von der Bundesregierung bekommt. Die Verhandlungen über die an die Hilfen geknüpften Bedingungen waren langwierig – vor allem, weil Lufthansa-Chef Carsten Spohr eine zu große Einflussnahme verhindern wollte. Er hatte Erfolg.

 

Keine Einflussnahme durch die Politik

 

Vor einer solch direkten Einflussnahme durch die Politik brauchen sich weite Teile des deutschen Mittelstands hingegen nicht zu fürchten. Leer gehen sie bei der Vergabe von Hilfen deshalb nicht aus. Im Gegenteil: Erst Anfang Juni hat die Bundesregierung ein Konjunkturpaket verabschiedet, dass alleine 25 Milliarden Euro als „Überbrückungshilfen“ für den Mittelstand vorsieht. So soll insbesondere der Umsatzrückgang aufgefangen werden. Der Deutsche Mittelstandsbund begrüßt das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket, das grundsätzlich in die richtige Richtung führe. „Der Mittelstand braucht finanzielle Entlastung, bürokratische Entfesselung und öffentliche Investitionen“, sagt der dortige Geschäftsführende Vorstand Marc S. Tenbieg.


Allerdings umfasst der deutsche Mittelstand unzählige Unternehmen und Branchen. Die finanzielle Lage müsse deshalb immer in Abhängigkeit betrachtet werden, betont Dr. Hartmut Meyer, Mitglied des Vorstands Die KMU-Berater: „Während das Bau- oder das produzierende Gewerbe kaum unter dem Lockdown gelitten hat, erwarten wir für alle konsumorientierten Branchen respektive für das B2C-Geschäft starke finanzielle Probleme.“


Realistisch ist diese Erwartung vor allem deshalb, weil die Eigenkapitaldecke vieler Unternehmen aufgrund der negativen Zinsen schon vor der Krise vergleichsweise dünn war. Verständlich, wurden zu hohe Cash-Bestände regelrecht bestraft und Gewinne stattdessen lieber investiert. Das rächt sich in der aktuellen Krise.
Besonders hart sei die Lage derzeit in der Gastronomie, wie Berater André Grenzdörffer erklärt: „Die Liquiditätsreserven in der Gastronomie sind so gut wie aufgebraucht und die Auflösung stiller Reserven ist nicht zum Vor-Corona-Preis realisierbar. Aktuell erwirtschaften bestenfalls Ausflugslokale und große Freiluftgastronomien Umsätze über dem Break-Even.“ Grenzdörffer hofft für die Branche daher auf die von der Bundesregierung beschlossene Mehrwertsteuersenkung. Die verschaffe den Speisen anbietenden Gastronomen die nötige Liquidität zum Atmen.

 

Maschinenbau benötigt besondere Finanzierung

 

Peter Schulz ist Berater im Anlagen- und Maschinenbau und sieht für seine Branche vor allem eine Herausforderung in der Vorfinanzierung der Produktion: „Fehlende Liquidität am Markt wird immer dann zu einem Problem, wenn die Wirtschaft wieder hochfährt. Dann ist auch die Gefahr von Insolvenzen am größten.“ Überbrücken könne man dies mit Kontokorrentlinien, soweit diese in der Lockdown-Phase nicht bereits ausgenutzt wurden. Auch Factoring sei eine ergänzende Finanzierungsmöglichkeit im Krisenfall. Allerdings zu einem entsprechenden Preis, wie Schulz bemerkt: „Während der Kontokorrent im Schnitt für rund sechs Prozent Zinsen per annum zu haben ist, kostet Factoring rund neun bis zehn Prozent. Die günstigere Alternative zur Vorfinanzierung ist dann immer noch der klassische Kredit bei der Hausbank“.


Für Schulz ist die effektivste Hilfe die Möglichkeit der Kurzarbeit, die aktuell für sieben bis acht Millionen Arbeitnehmer in Deutschland genutzt werde. Sie sei flexibel und bis zu 12 Monate einsetzbar. Denn viel Spielraum für alternative Finanzierungsoptionen sieht Gastronomieberater Grenzdörffer derzeit beispielsweise nicht: „Private Equity funktioniert eigentlich nur bei extrem guten Lagen in der Gastronomie und alle anderen Finanzierungsformen wie Crowdfunding oder Genossenschaften sind in der Kürze nicht realisierbar.“ Leasing sei eventuell noch möglich, setze aber ein existierendes Rating voraus. Im Anlagen- und Maschinenbau ist Leasing ohnehin üblich. Mittlerweile werden jedoch auch immer häufiger gebrauchte Maschinen verkauft, um sie dann vom Käufer zurück zu leasen, erklärt Schulz. Auch das generiere derzeit Liquidität, die allerdings ebenfalls ihren Preis habe.


Für KMU-Berater Dr. Meyer sind Staatshilfen daher in der aktuellen Situation oftmals die bessere Option – vorausgesetzt, für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten liegt keine Individualschuld vor. „Staatshilfen erlauben, dass Finanzierungen in eine langfristige Perspektive gestellt werden“, erklärt er, gibt jedoch gleichzeitig zu bedenken, dass es sich dennoch um einen zusätzlichen Kredit handele. Damit werde die Bonität aufgrund der höheren Verschuldung aller Unternehmen grundsätzlich reduziert.

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