Arbeitsplatz 4.0

Ob in der Fabrik oder im Büro: Mit unserer Umgebung wird sich auch unser Schaffen rasant verändern. Kreativität und persönliche Entfaltung werden dabei immer wichtiger.
Illustration: Jan Klöthe
Lars Klaaßen Redaktion

Die digitalisierte Zukunft am Arbeitsplatz hat längst begonnen. In vielen Fabriken sind schon seit Jahren Roboter im Einsatz, die in der einen oder anderen Weise neben Menschen arbeiten. Ebenso hat die „Augmented Reality“ bereits Einzug in die reale Arbeitswelt gehalten. So können etwa Wartungstechniker ihren Sichtbereich durch eine Datenbrille mit spezifischen Zusatzinformationen anreichern, mit Schaltbildern oder Konstruktionszeichnungen zum Beispiel. Diese technische Revolution nimmt derzeit rasant Fahrt auf, was für die nahe Zukunft zwei Fragen aufwirft. Erstens: Welche Jobs werden hierdurch verschwinden, welche neu geschaffen? Zweitens: Wie wird der Arbeitsplatz 4.0 aussehen?

Einigen pessimistischen Studien zum Trotz, die warnen, dass künstliche Intelligenz (KI) viele Arbeitsplätze vernichten werde, beobachten Experten eine andere Entwicklung. „In Unternehmen, die bei der Digitalisierung voranschreiten, entstehen zusätzliche Arbeitsplätze“, sagt Tim Hagemann vom Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin. Einen Grund hierfür lokalisiert er bei sogenannten Reboundeffekten. Das heißt: Produkte werden zwar effizienter hergestellt, aber zugleich komplexer – etwa um auf unterschiedlichen Märkten global kompatibel zu sein.

Routinejobs werden zu Teilen von Maschinen übernommen. Dafür steigt der Bedarf an Dienstleistung, Planung und Logistik. Hierbei werden Menschen wohl nicht so schnell ersetzt.
Arbeit wird uns also zwar nicht abhanden kommen, aber anders aussehen: „Physisch werden Menschen bei Ihrer Arbeit auch künftiger immer stärker entlastet, das ist ein großer Vorteil“, so Hagemann. Die psychische Herausforderung rücke stattdessen in den Vordergrund: „Die Digitalisierung distanziert den Menschen von seinem Handlungsfeld.“ Wo Mitarbeiter früher eine Pumpe unmittelbar händisch bedienten, steuern sie das Gerät heute aus einer Leitzentrale in der Ferne.


Auch Mediziner und Juristen werden einen ähnlichen Wandel erleben: Algorithmen und Anamnese-Tools schieben sich dann zwischen den Profi und sein Gegenüber.  „Ist der Bezug zum eigenen Tun nur mittelbar, wird es zur Herausforderung, die eigene Motivation zu erhalten.“ Hinzu kommt die Verkettung der Arbeitsplätze durch globale „Just-in-time“-Ketten. Menschliche Fehler können bei enger Vernetzung unter Zeitdruck schwerwiegende Folgen haben. „Vor diesem Hintergrund ist die Pflege der Unternehmenskultur wichtig“, betont Hagemann. „Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter sind relevante Faktoren für den Erfolg des ganzen Unternehmens.“ Das könne schon ganz profan bei Sport-Angeboten als Ausgleich für geringe oder einseitige physische Betätigung beginnen.

Welche Bedeutung Mitarbeiter und deren Qualifikation, Motivation und Wohlbefinden in der digitalisierten Arbeitswelt spielen, untersucht Martin Braun in Zusammenarbeit mit namhaften Wirtschaftsunternehmen. Der Experte für menschliche Arbeit am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) ist überzeugt: „Problembewusstsein, Initiative und Kreativität sind erfolgskritische Faktoren in Unternehmen.“ Beispiel Logistikbranche, in der deutschlandweit etwa 2,8 Millionen Menschen beschäftigt sind: Sie agiert als Dienstleister in einem Umfeld, das durch zunehmende Dynamik und Komplexität gekennzeichnet ist, und im dem sich Planungshorizonte drastisch verkürzen. Dort fehlt es zunehmend an ausreichend qualifizierten Mitarbeitern. Hier wie in anderen Branchen bleibt Vollautomatisierung auch längerfristig eine Utopie: „Gerade im Zuge der Digitalisierung ist die Wirtschaft hohen Flexibilitätsanforderungen der Kundenmärkte unterworfen.“ Damit seien KI-Algorithmen zumeist überfordert, nur der Mensch könne in solch volatiler Umgebung zielgerichtet agieren. „Um passende Mitarbeiter für sich zu gewinnen, müssen Arbeitgeber nicht zuletzt mit einer guten Arbeitsumgebung punkten.“
 

Raumlösungen für die Arbeit 4.0

 

Optimale Arbeitsplätze auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten zu schaffen, das ist das Kerngeschäft von Steelcase, dem Hersteller von Büroeinrichtungen und Entwickler von Raumlösungen. In seinem „Learning + Innovation Center“ (LINC), mitten in München, haben Mitarbeiter keine festen Arbeitsplätze. Sie können stattdessen einen Ort wählen, der für die aktuelle Tätigkeit konzipiert ist: konzentriertes und ruhiges Arbeiten, lockerer Austausch, oder Team-Meetings. Alle Räume im LINC sind Arbeitsprototypen, konzipiert als Experimente, bei denen das Unternehmen seine neuesten Denkweisen umsetzt, um kreatives Denken durch Arbeitsräume und Technologien zu fördern.
„In den letzten Jahren haben wir uns von extrem festen Strukturen verabschiedet und stattdessen agile und kreative Prozessschleifen entwickelt“, erläutert Vanja Misic, User Experience Lead bei WorkSpace Futures. Heute gelte „fail fast and learn fast“. Diese Entwicklung spiegele sich in den Räumlichkeiten wider: „Wir sind nicht mehr nur im Geist beweglicher, nicht nur unsere Aktivitäten und Prozesse haben sich verändert, auch die Räumlichkeiten passen sich dem an.“

Wenn manuelle, wiederkehrende Tätigkeiten zunehmend automatisiert werden, haben Unternehmen die Möglichkeit, ihren Fokus auf die Entwicklung neuer Innovationen zu richten. Dafür brauchen sie kreative, multidisziplinär arbeitende Teams. „Um herauszufinden, was solche Teams für ihre Arbeit benötigen, haben wir in den letzten zwei Jahren unterschiedliche Kreativ-Teams in Nordamerika, Europa und Asien beobachtet“, so Misic. „Diese Teams wollen Prozesse in einem Raum visuell erkennbar machen und den Raum flexibel, je nach Aktivität, nutzen.“ Dieses Konzept wird im LINC aufgegriffen: Gerade weil Kreativität den Menschen von der Maschine unterscheidet, soll er sich nicht nur persönlich entfalten können, sondern auch seine  Arbeitsumgebung passend gestalten.

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