Ein lohnendes Geschäft

Elektroautos „Made in Germany“ kommen in Fahrt. Endlich. Noch wichtiger aber ist die passende Infrastruktur.
Illustration: Ivonne Schulze
Kai Kolwitz Redaktion

Viele dürften es inzwischen schon einmal erlebt haben. Und wer nicht, der sollte dringend mal: diese ruckfreie Beschleunigung, wie an der Schnur gezogen. Diese fast lautlose Fortbewegung. Und, nicht zuletzt: Die Gewissheit, an der Ampel in aller Regel den Wagen mit den Verbrennungsmotoren die Rücklichter zeigen zu können. Elektrisch Autofahren, das ist ein durchaus sinnliches Erlebnis. So ein bisschen, wie einen Autoscooter für ganz, ganz Erwachsene zu steuern. Die sind ja auch ausgesprochen agil.

Man kann nicht behaupten, dass sich die deutschen Autobauer von Tag Eins an mit Feuereifer auf das Thema Elektromobilität gestürzt hätten. Doch, den Markterfolg von Tesla vor Augen, machen sich vor allem Audi und Mercedes in diesen Tagen daran, den Rückstand aufzuholen. Mercedes hat für das Frühjahr 2019 den EQC angekündigt, schon Ende 2018 will Audi damit beginnen, den e-tron auszuliefern. Beide zielen erkennbar auf Teslas Model X: SUV der gehobenen Mittelklasse, mit 409 beziehungsweise 408 PS Systemleistung und versprochenen Reichweiten von mindestens 400 Kilometern, bei Audi sogar gemessen im neuen WLTP-Zyklus, der deutlich praxisnäher sein soll als die vorherige Messmethode.

Damit sind beide Modelle nicht mehr nur designierte Zweitwagen für den Stadtverkehr, sondern vollwertige Angebote für Vielfahrer, die im Wagen auch Komfort und Spaß haben wollen. Groß, schwer – und, klar, damit ökologisch sicher nicht wirklich perfekt. Andererseits aber Modelle einer Kategorie, die gefragt ist, wie die Verkaufszahlen konventioneller SUV zeigen.
 

Rückstand verkürzen
 

Und auch in puncto Stromtanken mühen sich die Deutschen, den Rückstand auf Tesla zu verkürzen. Dessen unternehmenseigenes Netz von Schnellladestationen (die übrigens für heutige Käufer neuer Teslas auch nicht mehr kostenlos zu nutzen sind) will Mercedes im Joint Venture mit Audi, BMW, Ford und Porsche zügig ein Netz von eigenen Schnellladestationen entgegensetzen, an denen sich die Akkus der Wagen in 40 Minuten wieder auf 80 Prozent bringen lassen sollen. 200 Stationen sollen bis Jahresende stehen, 400 Stationen sollen es 2020 sein, in 18 europäischen Ländern. Darüber hinaus hat Audi über Verträge mit den Anbietern dafür gesorgt, dass sich 80 Prozent aller Ladesäulen Europas mit einer einzigen Bezahlkarte von e-tron-Fahrern nutzen lassen. Mercedes vereint mit seinem Angebot Me Charge die Säulen von mehr als 200 deutschen Providern in einem einzigen Lade- und Bezahlsystem.

Gerade die Bemühungen um ein schnell verfügbares ganzheitliches Angebot zeigen, dass es den Deutschen nun ernst sein dürfte mit eigenen elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Und damit um einen Teil des Marktes, der zwar immer noch überschaubar ist, verglichen mit dem für Verbrenner, sich aber entwickelt: 2017 wurden weltweit knapp 1,2 Millionen Elektroautos verkauft, in Deutschland waren es gut 25.000 und damit mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor. Bis August 2018 wurden übrigens hierzulande auch schon wieder gut 22.000 Wagen mit reinem Elektroantrieb an Käufer übergeben.
 

Ein Start-up gibt das Tempo vor
 

Innovatives Start-up setzt neue Maßstäbe und zwingt die Etablierten dadurch, nachzuziehen – diese Entwicklung scheint sich derzeit ganz ähnlich auch im Nutzfahrzeugsektor zu vollziehen. Hier waren es die Aachener Newcomer von StreetScooter, die gemeinsam mit der Deutschen Post AG zeigten, dass ein elektrisch betriebener Transporter für den städtischen Lieferverkehr preiswert und haltbar hergestellt werden kann.

Lange Zeit wurden die Außenseiter dafür von der klassischen Industrie belächelt. Nun, da die elektrischen Lieferwagen der Post immer mehr zur Normalität im Straßenverkehr werden, lacht allerdings niemand mehr. Stattdessen fanden sich auf der gerade geendeten Internationalen Automobilausstellung Nutzfahrzeuge in Hannover ähnliche Angebote klassischer Hersteller in Hülle und Fülle: Unter anderem beginnt  in diesen Tagen die Auslieferung eines rein elektrisch fahrenden VW Crafter an die ersten Kunden, ein elektrischer Mercedes-Sprinter ist bereits bestellbar und soll 2019 ausgeliefert werden – und bei StreetScooter arbeitet man derweil am nächsten Streich: Für diejenigen, denen der originäre StreetScooter zu klein ist, nimmt man den Work XL ins Programm, der in Köln-Niehl bei Ford montiert wird. Noch in diesem Jahr will die Post die ersten 1000 Exemplare in Betrieb nehmen.
 

Lieferverkehr ist prädestiniert
 

Eigentlich verwunderlich, dass sich die großen Hersteller so viel Zeit gelassen haben. Denn der städtische Lieferverkehr ist prädestiniert für den Einsatz von Elektromotoren: Streckenlängen lassen sich gut kalkulieren, nachts steht das Fahrzeug in der Regel auf dem Firmenhof, wo es wieder aufgeladen werden kann. Und es macht sich in der Stadt in Sachen Luftqualität und Lärm äußerst positiv bemerkbar, wenn das Paket nicht mehr per Diesel, sondern per E-Transporter geliefert wird. Gutes Image für das Unternehmen gibt es gratis dazu.
Übrigens gilt das durchaus auch für schwerere LKW: Ob Umzugstransporter, Baustellenfahrzeug oder Getränkelieferant – auch von den dicken Brummern sind gar nicht so wenige ausschließlich in der Stadt unterwegs. Erkannt hat man das auch bei den Herstellern: Praxisreife Modelle sind zwar noch nicht im Angebot, aber MAN zum Beispiel will mit dem 26-Tonner eTGM im kommenden Jahr in die praktische Erprobung. Mercedes hat seinen E-Actros sogar schon ausgewählten Kunden zur Verfügung gestellt, um Erfahrungen zu sammeln. Beide Modelle sollen Anfang des kommenden Jahrzehnts regulär auf die Straße kommen. Ein lohnendes Geschäft dürfte das allein schon deswegen werden, weil die Kommunen in ihrem Bemühen um bessere Luftqualität ihre eigene Flotte in großem Maßstab auf elektrische Fahrzeuge umstellen werden, sobald die verfügbar sind. Und es gibt nicht wenige Müllautos in Deutschland.

Übrigens auch nicht wenige Stadtbusse, auch wenn von denen derzeit nur sehr wenige mit Strom angetrieben werden. Auch hier waren die deutschen Hersteller nicht die ersten, die kamen vor allem aus China, inzwischen auch aus anderen europäischen Ländern. Aber immerhin: Mercedes wird noch 2018 damit beginnen, einen elektrischen Citaro-Bus in Serie zu bauen, MAN testet im Moment den Lion's City E, der 2020 auf den Markt kommen wird.
Bleibt also: Es wird immer enger in den Städten, auch Lärm und Luftqualität rücken immer stärker ins öffentliche Bewusstsein. Elektrisch angetriebene PKW und Nutzfahrzeuge werden ganz sicher nicht alle Probleme lösen können. Aber auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Mobilität werden sie ganz sicher ein wichtiger Baustein sein. Auch elektrisch angetriebene Busse werden manchmal nicht pünktlich an die Haltestelle kommen, so wie heute die, die mit Diesel betrieben werden. Aber dann kann man sich ja in immer mehr Städten einen elektrischen Sharing-Roller vom Straßenrand schnappen. Die Anbieter heißen zum Beispiel Emio oder Coup – der eine ein deutsches Start-up, der andere eine Tochter von Bosch.

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