»Wir haben ein strukturelles Problem«

Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen wie Burn-out oder Depression steigen seit Jahren kontinuierlich. Und bisher ist es nicht gelungen, diesen Trend zu bremsen. Auf Spurensuche mit Prof. Dr. Bernhard Badura von der Uni Bielefeld.
Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Interview: Julia Thiem Redaktion

Herr Prof. Badura, täuscht es oder haben wir bei der starken Zunahme an psychischen Erkrankungen ein Problem in der Arbeitswelt, das wir nicht in den Griff bekommen?
Das täuscht überhaupt nicht. Und wenn ich aktuelle Schlagzeilen wie beispielsweise rund um Zalando lese, wo Mitarbeiter sich permanent gegenseitig bewerten müssen – angelehnt an Produktbewertungen –, wundert es auch nicht, dass ein Teil der Belegschaft unter einem solchen Leistungsdruck irgendwann zusammenbricht.
 

Sie sehen also vor allem die Unternehmen in der Pflicht, das Problem anzugehen?
Der Zusammenhang zwischen arbeitsbedingten psychischen Problemen und den Organisationsbedingungen im Unternehmen ist mittlerweile klar belegt. Immer dann, wenn es Probleme in der Unternehmenskultur, der Führung oder der Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern gibt und auch die Sinnhaftigkeit der Arbeit für die Belegschaft nicht zu erkennen ist, nehmen die Ausfälle aufgrund von psychischen Problemen zu. An diesen Stellschrauben gilt es zu drehen. Jedoch sind nicht die Unternehmen alleine in der Pflicht, den gefährlichen Aufwärtstrend bei arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen zu stoppen.
 

Wen sehen Sie außerdem in der Pflicht?
Natürlich ist auch jeder Einzelne dafür verantwortlich, auf seine Gesundheit zu achten, sich mehr zu bewegen, sich gesund zu ernähren oder einen Ausgleich zum Arbeitsleben zu schaffen. Letztendlich brauchen wir jedoch eine Optimierung des Systems. Da sehe ich neben den Unternehmen und der Eigenverantwortung der Mitarbeiter auch die Sozialversicherungen und Krankenkassen in der Pflicht, die Augen vor den erschreckend hohen Zahlen nicht zu verschließen.
 

Wobei der rasante Anstieg arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen medial schon gebührende Aufmerksamkeit bekommt.
Das mag sein. Doch während bei anderen Erkrankungen wie den klassischen Rückenleiden oder kardiovaskulären Symptomen die Zahlen rückläufig sind, ist der Aufwärtstrend bei psychischen Erkrankungen ungebrochen. Das weist auf ein strukturelles Problem hin und heißt schlicht und ergreifend, dass die richtigen Maßnahmen noch nicht ergriffen wurden. Sie dürfen nicht vergessen, dass sich mit zunehmender Digitalisierung und Technologisierung die Arbeitsbedingungen gravierend verändern. Das hat Vorteile, etwa mit Blick auf einen deutlichen Rückgang tödlicher Arbeitsunfälle. Es stellt uns aber auch vor Herausforderungen, auf die wir Antworten finden müssen.
 

Ein solch strukturelles Problem lässt sich dann aber sicher auch nicht allein mit Achtsamkeitskursen, Yoga- und Entspannungsangeboten lösen, oder?
Nein, das lässt es sich sicher nicht. Ich sage nicht, dass sich die Belegschaft darüber nicht freut. Eine Massage hier und da ist sicher auch nett. Es ändert jedoch nicht grundlegend etwas an den Ursachen. Mein Plädoyer: Mehr Transparenz und Beteiligung der Mitarbeiter. Wir leben in unsicheren Zeiten. Unternehmen, denen es gelingt, klare Ziele zu kommunizieren und eine Kultur des Miteinanders zu schaffen, werden gesunde, engagierte und produktivere Mitarbeiter in ihren Reihen haben. 
 

Prof. Dr. Bernhard Badura hat die Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld mitgegründet und an zahlreichen Universitäten gelehrt und geforscht – unter anderem an der Universität Konstanz, der Harvard University sowie den Universitäten Graz und Zürich.

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